Die Sache mit den 10-Jahresfristen
In der erbrechtlichen Beratung sind Fragen nach den 10-Jahresfristen im Erb- und Erbschaftsteuerrecht bereits im Erstberatungsgespräch üblich und die Schlussfolgerungen häufig für die weitere Vermögensnachfolgegestaltung entscheidend.
Die wichtigsten 10-Jahresfristen sind:
- Neuentstehen der Erbschaft-/Schenkungsteuerfreibeträge alle 10 Jahre
- Schenkungswiderruf wegen Verarmung des Schenkers innerhalb von 10 Jahren nach der Schenkung
- Pflichtteilsergänzungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten für Schenkungen des Erblassers bis zu 10 Jahre vor seinem Tod
Allen diesen drei Fristen ist gemein, dass für den Fall der schenkweisen Übertragung von Vermögensgegenständen innerhalb von 10 Jahren nach der Übertragung noch Risiken für den Erben/den Empfänger der Leistung bestehen, wenn ein weiterer Umstand eintritt. Dies kann eine Verarmung des Schenkers wegen Pflegekosten sein, oder der Tod des Erblassers, der Pflichtteilsergänzungsansprüche auslöst.
Diese drei Fristen haben als gemeinsame Voraussetzung, dass eine Schenkung vorliegt, wobei das Steuerrecht diese im Detail anders definiert als das Pflichtteils- und das zivilrechtliche Schenkungsrecht. Der Erbrechtsfachanwalt wird deshalb zur Vermeidung der negativen Folgen einer Schenkung Gestaltungen vorziehen, die zu einem entgeltlichen Austauschgeschäft führen, also im Ergebnis eine kaufvertragsähnliche Übertragungsform. Dies aus folgenden Gründen:
Vereinfacht ausgedrückt muss ein Pflichtteil auch für lebzeitige Geschenke des Erblassers an Dritte nach dem Tod des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten bezahlt werden.
Es steht dem Erblasser jedoch frei, beispielsweise eine Immobilie bereits vor seinem Tod auf seinen zukünftigen Erben zu übertragen und sich umfassende Versorgungsleistungen vorzubehalten, damit er im Bedarfsfall gepflegt wird und sein Anwesen sicher bis zum Ableben oder dem Umzug ins Pflegeheim bewohnen darf. Außerdem muss die Übertragung selbstverständlich gegen ein Vorversterben des Beschenkten, die Scheidung des Empfängers usw. abgesichert werden. Auch können mit der Immobilienübergabe Leistungen des Empfängers an den Schenkenden aus der Vergangenheit abgegolten werden, bspw. bisherige Pflegeleistungen oder Hilfe im Haushalt.
Alle diese Gegenleistungen / Leistungsvorbehalte haben einen Geldwert, der dazu führt, dass die Übergabe sich von einer Schenkung entfernt und zu einem kaufähnlichen Vorgang wird, nur ohne Kaufpreiszahlung. Nachdem Wart- und Pflege und das Wohnungsrecht für den Übergeber höchstpersönlich und auf Lebenszeit eingeräumt sind, haben diese Rechte im Todesfall des Übergebers keinen Geldwert mehr und erhöhen nicht mehr den Pflichtteilsanspruch eines enterbten Kindes. Hätte der Empfänger einen Kaufpreis an den Übergeber bezahlt, so wäre der Pflichtteil aus diesem Erlös zu bezahlen. Optimal gestaltete lebzeitige Übertragungen bieten in gewissen Grenzen Schutz gegen Pflichtteilsansprüche und gegen Sozialregress.
Die Steuerbehörden sind gleichwohl an Ihre Bewertung der Wart- und Pflege sowie eines Wohnungsrechts nicht gebunden und nehmen die Bewertung nach den steuerlichen Vorschriften vor.
Auch hier ist jedoch das Wohnrecht anhand der statistischen Restlebenserwartung des Übergebers zu bewerten, abzuzinsen und mindert den Schenkungswert. Auch die Wart- und Pflege — sofern sie tatsächlich geleistet werden muss — mindert nachträglich den Schenkungswert. Zusätzlich lässt sich mit lebzeitigen Übertragungen der Erbschaftsteuerfreibetrag mehrmals ausnutzen, da dieser alle 10 Jahre neu entsteht.
Noch ein weiteres, nichtjuristisches Argument spricht für eine lebzeitige Vermögensnachfolge: Bei Erbauseinandersetzungen oder Pflichtteilsstreitigkeiten nach dem Tod des Erblassers unter den Erben wird es häufig darauf ankommen, was der Erblasser in seinem Testament gemeint hat, wer der Kinder zu Lebzeiten wie viel vom Erblasser erhalten hat und wer sich wie intensiv um den Erblasser gekümmert hat.
Derjenige, der hierüber am besten Bescheid weiß, nämlich der Erblasser selbst, lebt nicht mehr und kann nicht mehr gefragt werden. Viele kostenintensive, langwierige und menschlich belastende Rechtsstreitigkeiten hätten sich vermeiden lassen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten klare Verhältnisse geschaffen hätte. In der Regel ist die lebzeitige Vermögensnachfolge auch erheblich kostengünstiger als ein jahrelanger Erbstreit.